Abschiebung nach Syrien: Juristische Kälte trifft politische Realitätsverweigerung
Von Klaus J. StanekAusländerrecht, Interessantes0 KommentareSie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Standard. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf den Button unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Weitere InformationenEin Urteil gegen die Wirklichkeit
Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat am 4. November 2025 zwei Beschlüsse gefasst, die tief blicken lassen – weniger über Syrien als über den Zustand deutscher Asylpolitik.
Zwei syrische Männer, die zuvor in Österreich keinen Schutz erhalten hatten, dürfen nach Syrien abgeschoben werden. Das Gericht befand, Rückkehrern drohten dort „keine relevanten Gefahren“ mehr; in den Provinzen Damaskus und Latakia sei das Ausmaß willkürlicher Gewalt so gering, dass keine ernsthafte Bedrohung bestehe. Auch eine „Verelendung“ sei nicht zu erwarten.
Damit erklären deutsche Richter ein Land für sicher, das sich noch immer nicht von einem Jahrzehnt aus Krieg, Folter, Bomben und Vertreibung erholt hat. Die Beschlüsse sind unanfechtbar – aber sie sind politisch und moralisch höchst brisant.
Ein Land, das nicht heilt
Syrien ist 2025 kein friedliches Land. Es ist ein Land, das auf den Trümmern eines verlorenen Jahrzehnts steht. Das Regime Assad hält sich mit Gewalt an der Macht, Dissens wird bestraft, Oppositionelle verschwinden in Folterkellern, und selbst Rückkehrer aus Europa werden systematisch befragt, eingeschüchtert oder verhaftet.
Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International, Human Rights Watch und die UN-Untersuchungskommission berichten übereinstimmend von anhaltender Repression, Folter und Armut.
In dieser Realität wirkt das Urteil aus Düsseldorf wie eine juristische Fiktion: Die Kammer hat offenbar beschlossen, Syrien nach Aktenlage zu befrieden. Doch wer die Berichte aus Damaskus liest oder die Lage in Latakia kennt, weiß, dass Normalität dort nur ein anderes Wort für Angst ist.
Außenminister Wadephul: „Syrien ist wie Deutschland nach 1945“
Selbst die Bundesregierung beschreibt die Lage anders. Außenminister Johann Wadephul (CDU) sagte im September 2025 in einem Interview sinngemäß:
„Syrien ist heute, was Deutschland nach 1945 war: ein Land in Trümmern, zerstört, traumatisiert – und doch voller Menschen, die überleben wollen.“
Dieser Vergleich ist mehr als eine historische Analogie. Er macht deutlich: Wer Syrien heute für sicher erklärt, verkennt das Ausmaß der Zerstörung.
Die Städte sind zerbombt, die Wirtschaft kollabiert, Millionen Menschen leben von humanitärer Hilfe. Medikamente, Wasser, Strom – all das ist in vielen Regionen Glückssache.
Das ist kein Land, in das man jemanden „gefahrlos zurückschicken“ kann.
Recht trifft auf Moral
Die Richter in Düsseldorf haben nach den Maßstäben des deutschen und europäischen Asylrechts entschieden. Doch was juristisch nachvollziehbar scheint, kann moralisch dennoch falsch sein.
Das Recht fragt nach „allgemeiner Gefahr“, nicht nach individueller Angst. Es sucht nach Stabilität, wo vielleicht nur Stille herrscht – die Stille nach dem Schuss.
Wenn deutsche Gerichte beginnen, Diktaturen zu entlasten, nur weil dort weniger Bomben fallen, dann ist das keine Rückkehr zur Normalität – sondern eine Flucht vor der Verantwortung.
Der Asylschutz soll nicht erst greifen, wenn Gewalt massenhaft und sichtbar wird. Er soll jene schützen, die vor Willkür, Folter oder politischer Verfolgung fliehen. Genau das aber bleibt in Syrien bittere Realität.
Abschiebung in das Ungewisse
Die beiden Syrer, um die es hier geht, werden nun in ein Land zurückgeschickt, das sie einst unter Lebensgefahr verlassen haben. Sie sollen „Hilfsprogramme“ nutzen, deren Existenz auf dem Papier zwar belegt ist – die aber in der Praxis kaum jemanden erreichen.
Was ihnen dort bevorsteht, weiß niemand. Vielleicht gelingt ihnen das Überleben. Vielleicht auch nicht.
Dass das Verwaltungsgericht Düsseldorf (Az. 17 L 3613/25.A und 17 L 3620/25.A) „keine relevanten Gefahren“ erkennt, wird für andere Verfahren Signalwirkung haben. Das BAMF dürfte sich auf diese Argumentation berufen – ein gefährlicher Präzedenzfall.
Ein Urteil mit Symbolkraft
Dieses Urteil markiert einen Wendepunkt.
Es steht exemplarisch für die wachsende Diskrepanz zwischen rechtlicher Dogmatik und politischer Realität.
Während Außenminister Wadephul Syrien als ein Land beschreibt, das noch Jahrzehnte zum Wiederaufbau braucht, erklärt ein deutsches Gericht es zum sicheren Herkunftsort.
Die Frage ist nicht nur, ob das juristisch haltbar ist.
Die Frage ist: Was sagt es über uns aus, wenn wir Menschen in ein Land abschieben, das noch immer unter den Trümmern seiner eigenen Geschichte liegt?
Fazit: Kein Rechtsstaat ohne Verantwortung
Deutschland hat einst erlebt, was es heißt, in Ruinen zu stehen.
Die Lehre aus dieser Geschichte war nie bloß juristisch, sondern moralisch: Schutz für Verfolgte ist kein Verwaltungsakt, sondern Ausdruck von Menschlichkeit.
Wenn Gerichte beginnen, diese Menschlichkeit in Paragrafen zu ertränken, verliert das Asylrecht seinen Sinn.
Syrien ist nicht sicher.
Und wer es dennoch behauptet, will nicht sehen, was dort geschieht.
Quelle: VG Düsseldorf 17 L 3613/25.A und 17 L 3620/25.A vom 6-11-2025
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