Freispruch bleibt Freispruch – keine erneute Anklage

Von Klaus J. StanekAllgemeines0 Kommentare

Die Sache ist eigentlich klar: Wer einmal verurteilt ist, darf in dieser sache nicht erneut angeklagt werden. Hierbei muss man berücksichtigen, dass auch ein Freispruch ein Urteil darstellt. wer also rechtskräftig vom Vorwurf einer Straftat freigesprochen wurde, darf laut einer Entscheidung des bundesverfassungsgerichts (BVerfG) nicht noch einmal wegen derselben Tat angeklagt werden. Dies gilt auch dann, wenn aufgrund der steten Entwicklung der Kriminaltechnik neue Beweismittel zur Verfügung stehen, die eine Täterschaft des Beschuldigten sehr wahrscheinlich machen (Urteil vom 31. Oktober 2023 2 BvR 900/22).

Dies nennt sich Strafklageverbrauch und ist eines der Grundsätze der Rechtstaatlichkeit.

Hintergrund war der Vorwurf, im Jahr 1981 eine damals 17jährige Schülerin vergewaltigt und anschließend getötet zu haben. Das daraufhin gegen den Verdächtigen geführte Strafverfahren endete mit einem Freispruch. Im Februar 2022 wurde das Strafverfahren wegen neuer Beweismittel wiederaufgenommen. Gemäß der Strafprozessordnung darf ein Strafverfahren zuungunsten eines rechtskräftig Freigesprochenen wiederaufgenommen werden, wenn aufgrund neuer Tatsachen oder Beweismittel dringende Gründe dafür bestehen, dass der Beschuldigte wegen eines Schwerverbrechens verurteilt wird.

Eine Wiederaufnahme zuungunsten des Freigesprochenen ist verfassungswidrig. Das in Art. 103 Abs. 3 GG statuierte Mehrfachverfolgungsverbot verbietet dem Gesetzgeber die Regelung der Wiederaufnahme eines Strafverfahrens zum Nachteil des Freigesprochenen aufgrund neuer Tatsachen oder Beweismittel. Es trifft eine Vorrangentscheidung zugunsten der Rechtssicherheit gegenüber der materialen Gerechtigkeit. Zudem verletzt eine erneute Anklage das Rückwirkungsverbot.

Sachverhalt:

Der Betroffene wurde mit rechtskräftigem Urteil des Landgerichts (LG) Stade vom 13. Mai 1983 vom Vorwurf der Vergewaltigung und des Mordes freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft stellte beim Landgericht Verden (Niedersachsen) einen Antrag auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens und beantragte einen Haftbefehl. Das LG erklärte den Wiederaufnahmeantrag für zulässig und ordnete Untersuchungshaft gegen den Betroffenen an. Die Beschwerde verwarf das Oberlandesgericht Celle mit Beschluss. Mit seiner unmittelbar gegen die Beschlüsse des Oberlandesgerichts und des Landgerichts gerichteten Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 103 Abs. 3 GG sowie aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG. Das BVerG setzte den Haftbefehl vorläufig aus.

Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist begründet.

Dieses grundrechtsgleiche Recht verbietet dem Gesetzgeber die Regelung der Wiederaufnahme eines Strafverfahrens zum Nachteil des Grundrechtsträgers aufgrund neuer Tatsachen oder Beweismittel.

1. a) Art. 103 Abs. 3 GG gewährt einem Verurteilten oder Freigesprochenen ein subjektives grundrechtsgleiches Recht, das zunächst unmittelbar an die Strafgerichte und Strafverfolgungsorgane gerichtet ist.

Der Grundsatz, dass niemand wegen derselben Tat mehrmals bestraft werden darf (ne bis in idem), beschreibt das Prinzip des Strafklageverbrauchs, das Strafgerichte und Strafverfolgungsorgane als Verfahrenshindernis von Amts wegen in jedem Stadium des Strafverfahrens zu beachten haben. Soweit dieser Grundsatz eine erneute Strafverfolgung aufgrund der allgemeinen Strafgesetze betrifft, ist er durch Art. 103 Abs. 3 GG zum verfassungsrechtlichen Verbot erhoben worden. Dabei gestaltet Art. 103 Abs. 3 GG das zunächst abstrakte Prinzip des Strafklageverbrauchs als grundrechtsgleiches Recht aus. Er gewährt dem Einzelnen Schutz, den dieser als individuelle Rechtsposition geltend machen kann. Dieser Schutz kommt Verurteilten wie Freigesprochenen gleichermaßen zu und steht bereits der erneuten Strafverfolgung entgegen.

Gegenüber dem Gesetzgeber entfaltet Art. 103 Abs. 3 GG keine andere Wirkung, wenn dieser die gesetzlichen Voraussetzungen für eine erneute Strafverfolgung durch die Wiederaufnahme eines Strafverfahrens schafft. Das in Art. 103 Abs. 3 GG gegenüber den Strafverfolgungsorganen statuierte Verbot mehrfacher Strafverfolgung wäre praktisch wirkungslos, wenn die einfachgesetzliche Ausgestaltung als Wiederaufnahmeverfahren eine erneute Strafverfolgung und gegebenenfalls Verurteilung ermöglichen könnte.

b) Art. 103 Abs. 3 GG gewährt dem Prinzip der Rechtssicherheit Vorrang vor dem Prinzip der materialen Gerechtigkeit. Indem Art. 103 Abs. 3 GG bestimmt, dass wegen derselben Tat keine erneute Bestrafung erfolgen darf, hat das Grundgesetz selbst für den Anwendungsbereich dieser Bestimmung, mithin für strafgerichtliche Urteile, bereits entschieden, dass dem Prinzip der Rechtssicherheit Vorrang vor dem Prinzip der materialen Gerechtigkeit zukommt.

Diese Vorrangentscheidung ist absolut. Sie steht einer Relativierung des Verbots durch Abwägung mit anderen Rechtsgütern von Verfassungsrang entgegen. Zwar folgt dies noch nicht zwingend aus dem Wortlaut oder der Entstehungsgeschichte. Bei systematischer Betrachtung erscheint Art. 103 Abs. 3 GG jedoch abwägungsfest.

Art. 103 Abs. 3 GG stellt eine besondere Ausprägung des im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Vertrauensschutzes dar, die ausschließlich für strafrechtliche Verfahren gilt. Als Sonderregelung mit eigenständigem Gehalt geht Art. 103 Abs. 3 GG in seinem Schutzgehalt über die allgemeinen Prinzipien hinaus, die ihrerseits bereits das Vertrauen in eine rechtskräftige Entscheidung schützen und eine übermäßige Beeinträchtigung der Interessen des Einzelnen verhindern. Dieser weiterreichende Vertrauensschutz beruht darauf, dass ihm unbedingter Vorrang gegenüber den grundsätzlich berechtigten Korrekturinteressen zukommt, die der Gesetzgeber ansonsten berücksichtigen könnte.

Art. 103 Abs. 3 GG korrespondiert in Bezug auf diese Unbedingtheit mit Art. 103 Abs. 2 GG, wonach es dem Strafgesetzgeber ausnahmslos verboten ist, rückwirkende Strafgesetze zu erlassen. Ein gleichlaufendes Verständnis des Art. 103 Abs. 3 GG als abwägungsfestes Recht komplementiert diesen materiell-rechtlichen Schutz des Einzelnen im Bereich des Strafrechts auf der verfahrensrechtlichen Ebene.

Art. 103 Abs. 2 und 3 GG stehen den Freiheitsrechten nahe, die nicht nur innerhalb eines Strafverfahrens zu beachten sind, sondern den Grundrechtsträger bereits vor einem Strafverfahren schützen, ohne dass es zur Verwirklichung dieses Schutzes noch einer gesetzlichen Umsetzung bedürfte. Darin unterscheiden sich Art. 103 Abs. 2 und 3 GG von den Rechten, die – wie beispielsweise der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) – auf die Gewährleistung von Rechtsschutz gerichtet sind. Der für alle Verfahrensarten geltende Anspruch auf rechtliches Gehör bedarf einer verfahrensrechtlichen Ausgestaltung durch den Gesetzgeber.

Auch Sinn und Zweck des Art. 103 Abs. 3 GG sprechen dafür, dass die Norm absolute Geltung beansprucht. Der Zweck des Art. 103 Abs. 3 GG als Individualrecht besteht zunächst darin, den staatlichen Strafanspruch um der Rechtssicherheit des Einzelnen willen zu begrenzen. Der Einzelne soll darauf vertrauen dürfen, dass er nach einem Urteil wegen des abgeurteilten Sachverhalts nicht nochmals belangt werden kann. Wäre dem Gesetzgeber vorbehalten, die Abwägung zwischen Rechtssicherheit und staatlichem Strafanspruch anders zu treffen, könnte Art. 103 Abs. 3 GG selbst das Vertrauen des Angeklagten in den Bestand des in seiner Sache ergangenen Strafurteils und damit Rechtssicherheit für den Einzelnen nicht begründen.

Daneben dient die Rechtskraft einer Entscheidung auch dem Rechtsfrieden. Es besteht ein vom Einzelnen unabhängiges Bedürfnis der Gesellschaft an einer endgültigen Feststellung der Rechtslage. Daher hat sich die moderne rechtsstaatliche Ordnung gegen die Erreichung des Ideals absoluter Wahrheit und für die in einem rechtsförmigen Verfahren festzustellende, stets nur relative Wahrheit entschieden. Auch das Strafrecht gebietet keine Erforschung der Wahrheit „um jeden Preis“.

Damit stellt Art. 103 Abs. 3 GG auch gegenüber dem das Wiederaufnahmerecht gestaltenden Gesetzgeber ein absolutes und abwägungsfestes Verbot dar.

c) Als abwägungsfestes Verbot ist das grundrechtsgleiche Recht des Art. 103 Abs. 3 GG in Abgrenzung zu den allgemeinen rechtsstaatlichen Garantien eng auszulegen. Art. 103 Abs. 3 GG umfasst nur eine eng umgrenzte Einzelausprägung des Vertrauensschutzes in rechtskräftige Entscheidungen. Er schützt den Einzelnen allein vor erneuter Strafverfolgung aufgrund der allgemeinen Strafgesetze, wenn wegen derselben Tat bereits durch ein deutsches Gericht ein rechtskräftiges Strafurteil ergangen ist.

Im Rahmen dieses begrenzten Schutzgehalts verbietet Art. 103 Abs. 3 GG dem Gesetzgeber die Wiederaufnahme von Strafverfahren zum Nachteil des Grundrechtsträgers nicht generell, jedenfalls aber die Wiederaufnahme aufgrund neuer Tatsachen oder Beweismittel.

Die Wiederaufnahme eines Strafverfahrens kann etwa darauf gerichtet sein, ein mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht zu vereinbarendes Urteil aufzuheben, ohne dass eine Änderung des materiellen Ergebnisses im Vordergrund steht. Ist dies der Fall, ist Art. 103 Abs. 3 GG nicht berührt. Das betrifft insbesondere die Wiederaufnahme von Strafverfahren gemäß § 362 Nr. 1–4 StPO. Die Möglichkeit, ein unter schwerwiegenden Mängeln gefundenes Urteil, das die Anforderungen an ein justizförmiges, rechtsgeleitetes Verfahren verfehlt, aufzuheben und das Verfahren zu wiederholen, sichert den Geltungsanspruch des Urteils und damit die rechtsstaatliche Autorität des Strafverfahrens ab. Die Aufhebung eines Freispruchs nach einem glaubwürdigen Geständnis verfolgt den Zweck, ein Verhalten zu verhindern, das die Autorität des rechtsstaatlichen Strafverfahrens infrage stellen würde.

Demgegenüber verbietet Art. 103 Abs. 3 GG dem Gesetzgeber die Wiederaufnahme aufgrund neuer Tatsachen oder Beweismittel, die vorrangig auf eine inhaltlich „richtigere“ Entscheidung zielt. Die Korrektur eines Strafurteils mit dem Ziel, eine inhaltlich „richtigere“ und damit materiell gerechtere Entscheidung herbeizuführen, lässt sich mit der von Art. 103 Abs. 3 GG getroffenen unbedingten Vorrangentscheidung zugunsten der Rechtssicherheit gegenüber der materialen Gerechtigkeit nicht vereinbaren.

Die Rechtssicherheit, die durch ein justizförmig zustande gekommenes Urteil geschaffen wurde, erstreckt sich darauf, dass sie nicht durch das Auftauchen neuer Tatsachen oder Beweismittel infrage gestellt wird. Der Rechtsstaat nimmt die Möglichkeit einer im Einzelfall vielleicht unrichtigen Entscheidung vielmehr um der Rechtssicherheit willen in Kauf. Neue Tatsachen oder Beweismittel ziehen die Rechtsförmigkeit und Rechtsstaatlichkeit des vorausgegangenen Strafverfahrens nicht in Zweifel und begründen daher auch keinen schwerwiegenden Mangel der ergangenen Entscheidung. Deshalb zielt die Wiederaufnahme aufgrund neuer Tatsachen oder Beweismittel nicht darauf, den Geltungsanspruch der ergangenen Entscheidung zu stärken, sondern stellt diese, im Gegenteil, zur Disposition.

Art. 103 Abs. 3 GG hat auch nicht aufgrund einer gewandelten Verfassungswirklichkeit eine veränderte Bedeutung erhalten, in deren Folge dem Gesetzgeber die Gestaltung einer – womöglich eng umgrenzten – Wiederaufnahme aufgrund neuer Tatsachen oder Beweismittel offen stünde. Insbesondere die Zulassung der Verständigung hat dabei Einfluss auf die Wahrheitsfindungsfunktion des Strafprozesses erlangt. An den verfassungsrechtlichen Vorgaben für das Strafverfahren vermögen diese oder auch andere Entwicklungen jedoch nichts zu ändern.

Erst recht nehmen die verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Gesetzgeber nicht deshalb ab, weil eine gefestigte demokratische und rechtsstaatliche Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland dazu geführt hätte, dass eine Abkehr oder Aufweichung der verfassungsrechtlichen Grundsätze nicht mehr zu befürchten sind.

Eine Ausweitung des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums zur Regelung der Wiederaufnahme von Strafverfahren kann auch nicht auf die Belange von Opfern und deren Angehörigen gestützt werden. Zwar kann aus der staatlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG unter bestimmten Voraussetzungen ein Anspruch gegen den Staat auf effektive Strafverfolgung folgen. Der Anspruch auf effektive Strafverfolgung verbürgt jedoch kein bestimmtes Ergebnis, sondern verpflichtet die Strafverfolgungsorgane grundsätzlich nur zu einem (effektiven) Tätigwerden. Die Gründe für eine Wiederaufnahme zulasten des Angeklagten aufgrund neuer Tatsachen oder Beweismittel wurzeln jedoch nicht in gravierenden Mängeln der Strafverfolgung an sich und insbesondere nicht in der Nichtverfolgung einer Straftat. Ein Freispruch steht vielmehr am Ende eines Strafverfahrens, das gerade nicht eingestellt, sondern rechtsförmig durchgeführt worden ist.

Insbesondere der Verweis auf die fortlaufende Verbesserung der Ermittlungsmethoden stellt die Rechtsstaatlichkeit früherer Strafverfolgung nicht infrage. Wird die Aufklärung ungelöster Fälle mithilfe früher nicht verfügbarer Erkenntnismittel möglich, bestätigt dies vielmehr die rechtsstaatliche Unbedenklichkeit der früheren, wenn auch in der Sache unvollständigen Ergebnisse. Technischen Fortschritt unterstellt, kann eine spätere und daher mit moderneren Methoden durchgeführte Aufklärung die Chance besserer Erkenntnisse in sich tragen. Sie kann aber auch durch den Umstand belastet sein, dass nicht alle für das zuerst geführte Verfahren relevanten Beweismittel auch im zweiten Verfahren noch zur Verfügung stehen oder ebenso ertragreich sind, wie sie es im ersten Verfahren waren. Ein Strafprozess, der wegen des grundsätzlich stets möglichen Auftauchens neuer Tatsachen oder Beweismittel faktisch nie endete, würde für die Opfer beziehungsweise für ihre Hinterbliebenen eine erhebliche seelische Belastung darstellen, die das Bedürfnis an einer inhaltlich richtigen Aufklärung und Urteilsfindung immer weiter zurücktreten ließe, je mehr Zeit nach der Tat verstrichen wäre.

1. Das Bundesverfassungsgericht unterscheidet in ständiger Rechtsprechung zwischen Gesetzen mit „echter“ und solchen mit „unechter“ Rückwirkung. Eine Rechtsnorm entfaltet „echte“ Rückwirkung in Form einer Rückbewirkung von Rechtsfolgen, wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung für vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll. Demgegenüber ist von einer „unechten“ Rückwirkung in Form einer tatbestandlichen Rückanknüpfung auszugehen, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition entwertet. Eine Rückbewirkung von Rechtsfolgen („echte“ Rückwirkung) ist grundsätzlich verfassungsrechtlich unzulässig.

Die Unverjährbarkeit der Delikte gebietet keine andere Bewertung. Gerade für unverjährbare Delikte kann erst ein Freispruch die weitere Strafverfolgung ausschließen. Er trifft, anders als das Institut der Verjährung, eine ausdrückliche staatliche Entscheidung darüber, dass die Voraussetzungen für die Bestrafung eines bestimmten Verhaltens nicht erfüllt sind, und knüpft hieran den Ausschluss erneuter Strafverfolgung. Daher entfaltet ein Freispruch eine noch stärkere Zäsurwirkung als der Eintritt der Verfolgungsverjährung.

Unerheblich ist, ob der Betroffene zum Zeitpunkt seines Freispruchs wusste, dass das Urteil materiell-rechtlich falsch war. In Fortsetzung des Grundsatzes in dubio pro reo schützen der Grundsatz ne bis in idem und Art. 103 Abs. 3 GG den Freigesprochenen gerade unabhängig von dessen materiell-rechtlicher Schuld.

Die vom Gesetzgeber beabsichtigte Verwirklichung des Prinzips der materialen Gerechtigkeit verdrängt die zentrale Bedeutung der Rechtssicherheit für den Rechtsstaat nicht. Der Freispruch eines möglicherweise Schuldigen und der Fortbestand dieses Freispruchs trotz abnehmender Zweifel an der Schuld des Freigesprochenen sind unter dem Gesichtspunkt des Gemeinwohls nicht „unerträglich“, sondern vielmehr Folgen einer rechtsstaatlichen Strafrechtsordnung, in der der Zweifelsgrundsatz eine zentrale Rolle spielt.

III. Gemäß § 95 Abs. 3 BVerfGG ist die erneute Anklage für nichtig zu erklären. Die auf dieser Vorschrift beruhenden Beschlüsse des Oberlandesgerichts und des Landgerichts sind nach § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben, und die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen.

Auch wenn das Urteil des BVerfG für die Angehörigen des Opfers nicht schön sein mag, muss unsere Gesellschaft dies aushalten. Schließlich gilt auch der Grundsatz “Im Zweifel für den Angeklagten”, was zur Folge hat, dass die Justiz einen Straftäter laufen lassen muss, wenn es nicht von seiner Schuld überzeugt ist. Der Rechtstaat lässt lieber einen Täter laufen, als dass es das Risiko eingeht, einen Unschuldigen in Haft zu setzen, wenn auch die deutsche Justiz nicht frei von Justizirrtümern ist, die zu einer Inhaftierungund Verurteilung von Unschuldigen geführt haben. Werden diese bekannt, wird die unschuldig verurteilte Peson von der Justiz wieder freigelassenund (viel zu gering) vom Staat für das erlittene Unrecht entschädigt.